Tag 1: Früh morgens steige ich aufs voll bepackte Rad und visiere als Tagesziel das knapp 50 km entfernte Upshi an. Ich will es langsam angehen lassen, schließlich liegen knapp 500 km vor mir und eine Umkehr ist ausgeschlossen.
Bei strahlendem Sonnenschein breche ich auf und fahre an diversen buddhistischen Klöstern wie
Shay
Stakna
und Thiksay vorbei. Dabei begegnen mir immer wieder winkende Reisegruppen, Motorradfahrer, sowie Schulkinder, die mir zum Gruß ihre Hand ausstrecken. Obwohl ich erst kürzlich 5 kg Übergepäck (Souvenirs) nach Hause geschickt und weitere 5 kg (entbehrliches Gepäck) zu meinen Kumpels nach Delhi gesendet hatte, bin ich gefühlt immer noch zu schwer unterwegs. Das liegt leider nicht an meiner enormen (immer noch nicht vorhandenen) Wampe, sondern an all dem Proviant und den neu organisierten Winter Klamotten. Schlafsack, Isomatte, Schal, etc. sind nötig um die kalten Nächte hier draußen zu überstehen. Angeblich sind auf den ersten ca. 80 km noch Gästehäuser, bzw. homestays zu finden, danach nur noch Verschläge und hin und wieder Zeltstädte. Ein altes Ladakhi Sprichwort, welches ich kürzlich gelesen hatte besagt: „starte deine Reise nie zu warm angezogen, oder mit vollem Magen“. Damit gemeint ist, man soll immer etwas extra Klamotten, sowie zusätzlichem Proviant mit dabei haben, was in einer Steinwüste wie Ladakh (übersetzt: Land der hohen Pässe) durchaus nachvollziehbar ist. Davon abgesehen dass es keine stabile Netzabdeckung gibt, weiss man auch nie wann wieder gestreikt wird (weil wie bereits erlebt z.B. zwei religiöse Minderheiten „unerlaubter Weise“ untereinander heiraten und die Bevölkerung aus Protest die Arbeit für unbestimmte Zeit niedergelegt), oder es zu einen plötzlichen Wetterumschwung kommt, oder ein Landrutsch die Straße versperrt, oder, oder, oder.
Kurz vor Mittag erreiche ich bereits Upshi,
wo ich an einem Polizei Checkpoint meinen Ausweis vorzeigen muss. Nebenan befindet sich ein tibetisches Restaurant, in das ich auf ein paar köstliche Momos einkehre und mich frage, was ich mit dem angebrochenen Tag in diesem Nest noch anstellen soll. Nach einem köstlichen Masala Chai beschließe ich das Tagesziel auf weitere 30 km auszudehnen und nach Lato zu steuern. Der Leh – Manali Highway beginnt an Steigung zuzunehmen und so lege ich unter einem Schatten spendenden Baum eine Trinkpause ein. Kurz darauf hält neben mir ein halb beladener Pickup, dessen Fahrer die Beifahrerscheibe herunter kurbelt und mich fragend ansieht. Er sagt er hätte mir bereits vorher auf dem Weg nach Leh zugewunken und ob ich nicht ein Stück mit ihm mitfahren möchte. Sprachlos und erschöpft nicke ich ihm zu, lade mein Rad hinten auf und steige ein. Im Wagen erfahre ich, dass er nach Gya unterwegs ist, einer der ältesten Siedlungen Ladakhs.
Es liegt ca. 15 km entfernt und besteht wie ich anschließend sehe aus einer Hand voll Häuschen und Gompas. Ich bedanke mich für die unerwartete Mitfahrgelegenheit und biete ihm an etwas dafür zu bezahlen. Phunchok lehnt ab und lädt mich statt dessen zu Tee und Keksen zu sich nach Hause ein.
Dort lerne ich auch seine Mutter und die 6 Monate alte Nichte kennen.
Wir tauschen Adressen aus und ich ziehe wohl verpflegt weiter ins auf 4200 m gelegene Rumtse. Obwohl es erst knapp drei Uhr Nachmittags ist, bereite ich mich bereits auf die bevorstehende Kälte vor, indem ich mir frühzeitig eine Unterkunft suche. Abgesehen von ein wenig Landwirtschaft lebt man hier scheinbar vom Transit-Tourismus, die Auswahl an Unterkünften hält sich allerdings in Grenzen.
Nachts wird’s bitter kalt und vor mir liegt Taglang La, der erste und mit 5300 Höhenmetern auch gleichzeitig der höchste Pass meiner Reise über die fünf Bergketten. Da die Luft für heute inzwischen raus ist und morgen ein beschwerlicher Aufstieg ansteht, setze ich mich bei meiner Herberge mit angeschlossenem „Restaurant“ auf eine heiße Tasse Tee vors Haus
und lasse mir von der Höhensonne den Pansen wärmen. Abends gesellen sich ein paar Militärs in Zivil (man erkennt sie an den Trainingsanzügen und Stiefeln) zu mir und bereiten am Straßenrand ein Lagerfeuer vor.
Die Herbergsmutter beobachtet das Geschehen und kommt unaufgefordert mit einem Kanister auf uns zu. Sie gießt einen Teil davon über die wenigen Hölzer und verschwindet wieder ins Haus. Was für ein Erlebnis… aber hier draußen anscheinend nichts ungewöhnliches. Wie ich erfahre warten die Militärs auf ihren Transfer in eine andere Kaserne und lassen es sich nachts zuvor nochmal gut gehen. Ich frage die Jungs über den Kaschmir Konflikt und den Nachbarn China aus. Ebenso will ich wissen was mit Pakistan los ist, da sich die Indische Bevölkerung nahe der LoC (der umstrittenen Grenzlinie), eher den Nachbarstaaten, als Delhi zugehörig fühlt. Man erzählt mir das Teile der Bevölkerung vom Ausland finanziert und sogar mit Waffen versorgt würden, um Spannungen aufrecht zu erhalten bzw. Einfluss zu gewinnen. Das ganze geschehe von höchster Stelle aus, näher will man sich dazu nicht äußern. Etnisch gesehen haben weder Kashmir noch Ladakh etwas mit Indien zu tun und an eine Unabhängigkeit ist wegen der strategischen Bedeutung entlang der ehemaligen Seidenstraße nicht zu denken. Zwar ist Indien ein Vielvölkerstaat, jedoch unterscheidet sich dieser Teil des beanspruchten Territoriums noch mal komplett vom Rest des Landes. Man kommt sich vor wie im Niemandsland, den damaligen Kolonialherren sei Dank.
Tag 2: Es war eine kalte Nacht, mit Sicherheit weit unter 0 C°. Mein Daunen Schlafsack hat mich zum Glück warm gehalten, das sperrige Ding mitzuschleppen hat sich auf jeden Fall gelohnt. Beim Omelett- Frühstück mit Tee und Chapati graut mir schon vor den über 1000 Höhenmetern die auf mich warten. Ich fühle mich nicht gerade in Stimmung über 30 km konstante Steigung auf löchrigen Straßen auf mich zu nehmen und beschließe einen Trucker anzuquatschen und nach einer Mitfahrgelegenheit zum Pass hoch zu fragen. Er spricht kaum Englisch, aber seine beiden Fracht Gehilfen übersetzen und so willigt er ein.
Der Militär Captain von gestern läuft mir wieder über den Weg, wir verabschieden uns erneut. Er kommandiert mir freundlicher Weise einen seiner Untergebenen ab um mir beim Einladen des Fahrrads zu helfen.
Es geht los, die Straße nach oben ist übel und ich bin froh diesen Teil der Strecke auslassen zu können. Anstatt mich jedoch wie besprochen am Gipfel raus zu lassen, fährt der Trucker einfach weiter. Ich wundere mich, halte aber still, irgendwann wird er auf der anderen Seite schon stoppen denke ich mir. Nach einer wilden Fahrt, teils mit Abkürzungen über unbefahrbare Hänge, erreichen wir gut durchgerüttelt Pang, einen Militärstützpunkt kurz vor dem Doppelpass Lachung La (5059 m) / Naki La (4740 m).
Hier halten wir für ein kurzes Frühstück, bestehend aus Parata und Chai. Nach dem keiner daran interessiert ist mein Rad auszuladen und auch sonst nicht mit mir spricht, fahren wir kurz darauf weiter. Die sog. Straße sieht immer noch miserabel aus, nicht zu erwähnen vom Weg abgekommene,
steckengebliebene,
oder bereits ausgeschlachtete LKW. Ich frage mich, ob ich das Stück mit all dem Gepäck wohl geschafft hätte. Irgendwie bestimmt, aber vermutlich nicht auf dem Rad! Kurze Zeit später erreichen wir Serchu, ein Örtchen bestehend aus Wellblechhütten mit einem Zelt und einer Schnur-Schranke, an dessen Ende sich zwei Checkpoint-Polizisten aufhalten.
Der Trucker fordert mich auf auszusteigen, er würde hier übernachten wollen und für mich wäre das die Endstation. Außerdem verlangt er 1000 Rs fürs Mitfahren. Ich steige aus und sehe mir den Zustand meines Rads an. Ich verweise ihn auf meine zerbeulten und zum Teil fehlenden Trinkflaschen, als auch auf das defekte Lock-out System der inzwischen zerkratzten RockShox Gabel. Widerwillig drücke ihm 500 Rs in die Hand und verschwinde. Gleichzeitig bin ich froh bereits auf etwa halber Strecke nach Manali zu sein. Wenige Minuten später düst der Typ mit seinen beiden Gehilfen an mir vorbei. Er hinterlässt dabei außer einer Staubwolke auch ein schales Gefühl in mir. Trampen ist zwar überall ein Glückspiel, aber unabgesprochen dafür bezahlen zu müssen war mir neu. Indessen schiebe ich das angeschlagene Steppi die Schotterpiste entlang und beschließe im „Lee Meridian“ einzukehren,
wo ich Thukpa incl. eines Bettes für die Nacht bestelle.
Hier oben zwischen den Felsen wirkt die Landschaft karg und trostlos. In der untergehenden Abendsonne genieße ich noch die letzten wärmenden Strahlen, bevor das Thermometer wieder Richtung Keller zeigt.
Bereits bei Anbruch der Dunkelheit ziehe ich mir fünf Decken über und verkrieche mich in meine badezimmerlose, zugige Wellblechhütte. Immerhin gibt es ein Plumsklo hinterm „Haus“. Licht kommt aus der Solar-Batterie, Steckdosen zum Aufladen sucht man hingegen vergebens. Auf Dauer kann man es hier wohl nur als Einheimischer, oder als in Entsagung lebender Yogi aushalten…
Tag 3: Früh morgens packe ich zusammen, frühstücke ein paar Rühreier samt üblichem Chai-Tee und erkundige mich anschließend am Checkpoint nach dem Zustand der Pass-Straße Richtung Baralacha La (4890 m). Man rät mir eine Mitfahrgelegenheit zu suchen, da der Weg nach oben, wer hätte das gedacht, nicht sonderlich gut sei. Nach der gestrigen Erfahrung bin ich davon zwar nicht begeistert, aber den Tag zwischen Schlaglöchern zu verbringen ist auch keine Option. Ich quatsche also einen Typen mit Pickup an, frage ihn ob er mich bis Keylong (einem Vorposten der Zivilisation) mitnehmen kann und spreche ihn noch an Ort und Stelle auf einem möglichen Preis fürs Trampen an. „As you wish“ erwidert dieser. Na dann… Ich lade das quasi noch blutende Steppi auf und bleibe für weitere ca. 100 km von einer Strecke verschont, die selbst unserem Allrad-Pickup zu schaffen macht. Gegen Mittag erreichen wir schließlich das auf etwa 3200 m gelegene Dörfchen Keylong, ich bezahle dem Fahrer 500 Rs und bekomme 100 zurück. Ich bedanke mich für die Mitfahrgelegenheit und kehre ins nächstgelegene Gästehaus ein. Wie ich später feststelle gibt es dort heißes Wasser, WiFi (mehr oder weniger) und von der Dachterrasse aus eine Aussicht aufs Tal, die jeden Alpenländler vor Neid erblassen lassen würde. Für weniger als einen Euro bekommt man im Restaurant nebenan ein köstliches tibetisches Mittagessen, auch das Klima ist angenehm warm. Ich bleibe zwei Nächte und genieße den neu gewonnenen „Luxus“.
Tag 4: Mit dem Ziel das nur 30 km weiter, jedoch knapp 800 m höher gelegene Sissu zu erreichen breche ich kurz nach 9 auf. Unerwartet erreiche ich mein Ziel bereits vormittags, beschließe dann aber das verbleibende Tageslicht zu nutzen und noch weiter bis Koksar zu fahren. Ich passiere winzige Ortschaften ohne Namen, mit Menschen welche ihre Häuser ins Felsmassiv hinein gebaut haben, vermutlich zum Schutz vor Wind und Wetter. Es ist mir ein Rätzel wie sie hier draußen mitten im Nirgendwo überleben, wie sie leben und vor allem wovon. Ein kurzer Herbst steht vor der Tür und spätestens ab November liegt die Straße wieder unter meter hohem Schnee und Eis begraben. Bis zum Einsetzen der Schneeschmelze gegen März / April ist der Highway unpassierbar und damit gesperrt. Ich habe Glück noch unter guten Bedingungen fahren zu können und bewundere die Menschen, die gelernt haben in dieser harschen Umgebung zu überleben.
Der letzte Pass, Rothang La, auch bekannt als der „Leichenberg“, ist von weitem aus bereits in Wolken gehüllt (un)sichtbar. Es wird stetig kälter und der Wind bläst mir erbarmungslos ins Gesicht. Ziemlich k.o. erreiche ich ein aus mehreren Zelten bestehendes Basecamp und überlege dort die Nacht zu verbringen. Allerdings ist vor Ort niemand anzutreffen und die Zelte mit Schlössern versehen, so bleibt mir nichts anderes übrig als weiter der Nebelwand entgegen zu fahren. Ich packe meine lange Hose, die Wintermütze und auch die Handschuhe aus, der plötzliche Klimawechsel ist kaum zu fassen. Es ist erstaunlich wie schnell es sich zum ersten Gebirgszug hin, dem „anderen“ Indien, schlechter wird. Man kann sich bereits vorstellen wie es drüben aussieht, wo sich der Monsoon abregnet. Bis Koksar, der letzten Bastion vor dem Pass zeigt ein Stein am Straßenrand sind es noch 15 km. Gegen den Wind anzukämpfen ist eine Qual, aber ich schaffe es bis zu einem der wenigen Gästehäuser, welche sich unmittelbar vor Beginn der ersten Anhöhe auf dem Weg zum Pass befinden. Ich steige ab und sehe mir den Zustand der Herberge an. Akzeptabel, wenn man keine andere Wahl hat. Kurz bevor ich mich für das Zimmer entscheide, höre ich vor dem Haus quietschende Bremsen. Es ist ein überfüllter Linienbus, welcher wie mir gesagt wird aus Keylong kommt und heute der letzte auf dem Weg nach Manali sei. Ich renne sofort hin und frage nach einer Mitfahrgelegenheit incl. Rad. Man willigt gegen extra Aufschlag ein. Ich bin erleichtert und klettere samt aufgeschultertem Steppi fast im Delirium einhändig die metallene Leiter an der hinteren Buswand aufs Dach. Mit den beiden noch überlebenden Expandern schnalle ich es fest, rede ihm noch mal gut zu und quetsche mich anschließend zwischen unzählige andere Passagiere hinter die Eingangstür. Ein Stück weit komme ich mir inzwischen vor wie Tom Hanks in Cast Away – mein Verstand braucht dringend eine Pause von all den Strapazen…
Mein Entschluss den letzten Teil der Strecke bis nach Manali aus eigener Kraft zurückzulegen war leider ohne Erfolg; das Klima und meine Kräfte haben einfach nicht mehr mitgespielt. Trotzdem bin ich froh die Reise auf die andere Seite halbwegs heil überstanden zu haben. Meine Fingerkuppen sind bereits seit Tagen offene Wunden, mal blutig, mal vertrocknet. Das raue Klima hier oben ist definitiv nichts für verweichlichte Stadtmenschen – aber es ist auf jeden Fall eine unvergessliche Erfahrung…!!