Leh – Manali Highway

Tag 1: Früh morgens steige ich aufs voll bepackte Rad und visiere als Tagesziel das knapp 50 km entfernte Upshi an. Ich will es langsam angehen lassen, schließlich liegen knapp 500 km vor mir und eine Umkehr ist ausgeschlossen.

Bei strahlendem Sonnenschein breche ich auf und fahre an diversen buddhistischen Klöstern wie

Shay

Stakna

und Thiksay vorbei. Dabei begegnen mir immer wieder winkende Reisegruppen, Motorradfahrer, sowie Schulkinder, die mir zum Gruß ihre Hand ausstrecken. Obwohl ich erst kürzlich 5 kg Übergepäck (Souvenirs) nach Hause geschickt und weitere 5 kg (entbehrliches Gepäck) zu meinen Kumpels nach Delhi gesendet hatte, bin ich gefühlt immer noch zu schwer unterwegs. Das liegt leider nicht an meiner enormen (immer noch nicht vorhandenen) Wampe, sondern an all dem Proviant und den neu organisierten Winter Klamotten. Schlafsack, Isomatte, Schal, etc. sind nötig um die kalten Nächte hier draußen zu überstehen. Angeblich sind auf den ersten ca. 80 km noch Gästehäuser, bzw. homestays zu finden, danach nur noch Verschläge und hin und wieder Zeltstädte. Ein altes Ladakhi Sprichwort, welches ich kürzlich gelesen hatte besagt: „starte deine Reise nie zu warm angezogen, oder mit vollem Magen“. Damit gemeint ist, man soll immer etwas extra Klamotten, sowie zusätzlichem Proviant mit dabei haben, was in einer Steinwüste wie Ladakh (übersetzt: Land der hohen Pässe) durchaus nachvollziehbar ist. Davon abgesehen dass es keine stabile Netzabdeckung gibt, weiss man auch nie wann wieder gestreikt wird (weil wie bereits erlebt z.B. zwei religiöse Minderheiten „unerlaubter Weise“ untereinander heiraten und die Bevölkerung aus Protest die Arbeit für unbestimmte Zeit niedergelegt), oder es zu einen plötzlichen Wetterumschwung kommt, oder ein Landrutsch die Straße versperrt, oder, oder, oder.

Kurz vor Mittag erreiche ich bereits Upshi,

wo ich an einem Polizei Checkpoint meinen Ausweis vorzeigen muss. Nebenan befindet sich ein tibetisches Restaurant, in das ich auf ein paar köstliche Momos einkehre und mich frage, was ich mit dem angebrochenen Tag in diesem Nest noch anstellen soll. Nach einem köstlichen Masala Chai beschließe ich das Tagesziel auf weitere 30 km auszudehnen und nach Lato zu steuern. Der Leh – Manali Highway beginnt an Steigung zuzunehmen und so lege ich unter einem Schatten spendenden Baum eine Trinkpause ein. Kurz darauf hält neben mir ein halb beladener Pickup, dessen Fahrer die Beifahrerscheibe herunter kurbelt und mich fragend ansieht. Er sagt er hätte mir bereits vorher auf dem Weg nach Leh zugewunken und ob ich nicht ein Stück mit ihm mitfahren möchte. Sprachlos und erschöpft nicke ich ihm zu, lade mein Rad hinten auf und steige ein. Im Wagen erfahre ich, dass er nach Gya unterwegs ist, einer der ältesten Siedlungen Ladakhs.

Es liegt ca. 15 km entfernt und besteht wie ich anschließend sehe aus einer Hand voll Häuschen und Gompas. Ich bedanke mich für die unerwartete Mitfahrgelegenheit und biete ihm an etwas dafür zu bezahlen. Phunchok lehnt ab und lädt mich statt dessen zu Tee und Keksen zu sich nach Hause ein.

Dort lerne ich auch seine Mutter und die 6 Monate alte Nichte kennen.

Wir tauschen Adressen aus und ich ziehe wohl verpflegt weiter ins auf 4200 m gelegene Rumtse. Obwohl es erst knapp drei Uhr Nachmittags ist, bereite ich mich bereits auf die bevorstehende Kälte vor, indem ich mir frühzeitig eine Unterkunft suche. Abgesehen von ein wenig Landwirtschaft lebt man hier scheinbar vom Transit-Tourismus, die Auswahl an Unterkünften hält sich allerdings in Grenzen.

Nachts wird’s bitter kalt und vor mir liegt Taglang La, der erste und mit 5300 Höhenmetern auch gleichzeitig der höchste Pass meiner Reise über die fünf Bergketten. Da die Luft für heute inzwischen raus ist und morgen ein beschwerlicher Aufstieg ansteht, setze ich mich bei meiner Herberge mit angeschlossenem „Restaurant“ auf eine heiße Tasse Tee vors Haus

und lasse mir von der Höhensonne den Pansen wärmen. Abends gesellen sich ein paar Militärs in Zivil (man erkennt sie an den Trainingsanzügen und Stiefeln) zu mir und bereiten am Straßenrand ein Lagerfeuer vor.


Die Herbergsmutter beobachtet das Geschehen und kommt unaufgefordert mit einem Kanister auf uns zu. Sie gießt einen Teil davon über die wenigen Hölzer und verschwindet wieder ins Haus. Was für ein Erlebnis… aber hier draußen anscheinend  nichts ungewöhnliches. Wie ich erfahre warten die Militärs auf ihren Transfer in eine andere Kaserne und lassen es sich nachts zuvor nochmal gut gehen. Ich frage die Jungs über den Kaschmir Konflikt und den Nachbarn China aus. Ebenso will ich wissen was mit Pakistan los ist, da sich die Indische Bevölkerung nahe der LoC (der umstrittenen Grenzlinie), eher den Nachbarstaaten, als Delhi zugehörig fühlt. Man erzählt mir das Teile der Bevölkerung vom Ausland finanziert und sogar mit Waffen versorgt würden, um Spannungen aufrecht zu erhalten bzw. Einfluss zu gewinnen. Das ganze geschehe von höchster Stelle aus, näher will man sich dazu nicht äußern. Etnisch gesehen haben weder Kashmir noch Ladakh etwas mit Indien zu tun und an eine Unabhängigkeit ist wegen der strategischen Bedeutung entlang der ehemaligen Seidenstraße nicht zu denken. Zwar ist Indien ein Vielvölkerstaat, jedoch unterscheidet sich dieser Teil des beanspruchten Territoriums noch mal komplett vom Rest des Landes. Man kommt sich vor wie im Niemandsland, den damaligen Kolonialherren sei Dank.

Tag 2: Es war eine kalte Nacht, mit Sicherheit weit unter 0 C°. Mein Daunen Schlafsack hat mich zum Glück warm gehalten, das sperrige Ding mitzuschleppen hat sich auf jeden Fall gelohnt. Beim Omelett- Frühstück mit Tee und Chapati graut mir schon vor den über 1000 Höhenmetern die auf mich warten. Ich fühle mich nicht gerade in Stimmung über 30 km konstante Steigung auf löchrigen Straßen auf mich zu nehmen und beschließe einen Trucker anzuquatschen und nach einer Mitfahrgelegenheit zum Pass hoch zu fragen. Er spricht kaum Englisch, aber seine beiden Fracht Gehilfen übersetzen und so willigt er ein.

Der Militär Captain von gestern läuft mir wieder über den Weg, wir verabschieden uns erneut. Er kommandiert mir freundlicher Weise einen seiner Untergebenen ab um mir beim Einladen des Fahrrads zu helfen.

Es geht los, die Straße nach oben ist übel und ich bin froh diesen Teil der Strecke auslassen zu können. Anstatt mich jedoch wie besprochen am Gipfel raus zu lassen, fährt der Trucker einfach weiter. Ich wundere mich, halte aber still, irgendwann wird er auf der anderen Seite schon stoppen denke ich mir. Nach einer wilden Fahrt, teils mit Abkürzungen über unbefahrbare Hänge, erreichen wir gut durchgerüttelt Pang, einen Militärstützpunkt kurz vor dem Doppelpass Lachung La (5059 m) / Naki La (4740 m).

Pang

 

Hier halten wir für ein kurzes Frühstück, bestehend aus Parata und Chai. Nach dem keiner daran interessiert ist mein Rad auszuladen und auch sonst nicht mit mir spricht, fahren wir kurz darauf weiter. Die sog. Straße sieht immer noch miserabel aus, nicht zu erwähnen vom Weg abgekommene,

steckengebliebene,

oder bereits ausgeschlachtete LKW. Ich frage mich, ob ich das Stück mit all dem Gepäck wohl geschafft hätte. Irgendwie bestimmt, aber vermutlich nicht auf dem Rad! Kurze Zeit später erreichen wir Serchu, ein Örtchen bestehend aus Wellblechhütten mit einem Zelt und einer Schnur-Schranke, an dessen Ende sich zwei Checkpoint-Polizisten aufhalten.

Der Trucker fordert mich auf auszusteigen, er würde hier übernachten wollen und für mich wäre das die Endstation. Außerdem verlangt er 1000 Rs fürs Mitfahren. Ich steige aus und sehe mir den Zustand meines Rads an. Ich verweise ihn auf meine zerbeulten und zum Teil fehlenden Trinkflaschen, als auch auf das defekte Lock-out System der inzwischen zerkratzten RockShox Gabel. Widerwillig drücke ihm 500 Rs in die Hand und verschwinde. Gleichzeitig bin ich froh bereits auf etwa halber Strecke nach Manali zu sein. Wenige Minuten später düst der Typ mit seinen beiden Gehilfen an mir vorbei. Er hinterlässt dabei außer einer Staubwolke auch ein schales Gefühl in mir. Trampen ist zwar überall ein Glückspiel, aber unabgesprochen dafür bezahlen zu müssen war mir neu. Indessen schiebe ich das angeschlagene Steppi die Schotterpiste entlang und beschließe im „Lee Meridian“ einzukehren,

wo ich Thukpa incl. eines Bettes für die Nacht bestelle.

Hier oben zwischen den Felsen wirkt die Landschaft karg und trostlos. In der untergehenden Abendsonne genieße ich noch die letzten wärmenden Strahlen, bevor das Thermometer wieder Richtung Keller zeigt.

Bereits bei Anbruch der Dunkelheit ziehe ich mir fünf Decken über und verkrieche mich in meine badezimmerlose, zugige Wellblechhütte. Immerhin gibt es ein Plumsklo hinterm „Haus“. Licht kommt aus der Solar-Batterie, Steckdosen zum Aufladen sucht man hingegen vergebens. Auf Dauer kann man es hier wohl nur als Einheimischer, oder als in Entsagung lebender Yogi aushalten…

Tag 3: Früh morgens packe ich zusammen, frühstücke ein paar Rühreier samt üblichem Chai-Tee und erkundige mich anschließend am Checkpoint nach dem Zustand der Pass-Straße Richtung Baralacha La (4890 m). Man rät mir eine Mitfahrgelegenheit zu suchen, da der Weg nach oben, wer hätte das gedacht, nicht sonderlich gut sei. Nach der gestrigen Erfahrung bin ich davon zwar nicht begeistert, aber den Tag zwischen Schlaglöchern zu verbringen ist auch keine Option. Ich quatsche also einen Typen mit Pickup an, frage ihn ob er mich bis Keylong (einem Vorposten der Zivilisation) mitnehmen kann und spreche ihn noch an Ort und Stelle auf einem möglichen Preis fürs Trampen an. „As you wish“ erwidert dieser. Na  dann… Ich lade das quasi noch blutende Steppi auf und bleibe für weitere ca. 100 km von einer Strecke verschont, die selbst unserem Allrad-Pickup zu schaffen macht. Gegen Mittag erreichen wir schließlich das auf etwa 3200 m gelegene Dörfchen Keylong, ich bezahle dem Fahrer 500 Rs und bekomme 100 zurück. Ich bedanke mich für die Mitfahrgelegenheit und kehre ins nächstgelegene Gästehaus ein. Wie ich später feststelle gibt es dort heißes Wasser, WiFi (mehr oder weniger) und von der Dachterrasse aus eine Aussicht aufs Tal, die jeden Alpenländler vor Neid erblassen lassen würde. Für weniger als einen Euro bekommt man im Restaurant nebenan ein köstliches tibetisches Mittagessen, auch das Klima ist angenehm warm. Ich bleibe zwei Nächte und genieße den neu gewonnenen „Luxus“.

Tag 4: Mit dem Ziel das nur 30 km weiter, jedoch knapp 800 m höher gelegene Sissu zu erreichen breche ich kurz nach 9 auf. Unerwartet erreiche ich mein Ziel bereits vormittags, beschließe dann aber das verbleibende Tageslicht zu nutzen und noch weiter bis Koksar zu fahren. Ich passiere winzige Ortschaften ohne Namen, mit Menschen welche ihre Häuser ins Felsmassiv hinein gebaut haben, vermutlich zum Schutz vor Wind und Wetter. Es ist mir ein Rätzel wie sie hier draußen mitten im Nirgendwo überleben, wie sie leben und vor allem wovon. Ein kurzer Herbst steht vor der Tür und spätestens ab November liegt die Straße wieder unter meter hohem Schnee und Eis begraben. Bis zum Einsetzen der Schneeschmelze gegen März / April ist der Highway unpassierbar und damit gesperrt. Ich habe Glück noch unter guten Bedingungen fahren zu können und bewundere die Menschen, die gelernt haben in dieser harschen Umgebung zu überleben.

Der letzte Pass, Rothang La,  auch bekannt als der „Leichenberg“, ist von weitem aus bereits in Wolken gehüllt (un)sichtbar. Es wird stetig kälter und der Wind bläst mir erbarmungslos ins Gesicht. Ziemlich k.o. erreiche ich ein aus mehreren Zelten bestehendes Basecamp und überlege dort die Nacht zu verbringen. Allerdings ist vor Ort niemand anzutreffen und die Zelte mit Schlössern versehen, so bleibt mir nichts anderes übrig als weiter der Nebelwand entgegen zu fahren. Ich packe meine lange Hose, die Wintermütze und auch die Handschuhe aus, der plötzliche Klimawechsel ist kaum zu fassen. Es ist erstaunlich wie schnell es sich zum ersten Gebirgszug hin, dem „anderen“ Indien, schlechter wird. Man kann sich bereits vorstellen wie es drüben aussieht, wo sich der Monsoon abregnet.  Bis Koksar, der letzten Bastion vor dem Pass zeigt ein Stein am Straßenrand sind es noch 15 km. Gegen den Wind anzukämpfen ist eine Qual, aber ich schaffe es bis zu einem der wenigen Gästehäuser, welche sich unmittelbar vor Beginn der ersten Anhöhe auf dem Weg zum Pass befinden. Ich steige ab und sehe mir den Zustand der Herberge an. Akzeptabel, wenn man keine andere Wahl hat. Kurz bevor ich mich für das Zimmer entscheide, höre ich vor dem Haus quietschende Bremsen. Es ist ein überfüllter Linienbus, welcher wie mir gesagt wird aus Keylong kommt und heute der letzte auf dem Weg nach Manali sei. Ich renne sofort hin und frage nach einer Mitfahrgelegenheit incl. Rad. Man willigt gegen extra Aufschlag ein. Ich bin erleichtert und klettere samt aufgeschultertem Steppi fast im Delirium einhändig die metallene Leiter an der hinteren Buswand aufs Dach. Mit den beiden noch überlebenden Expandern schnalle ich es fest, rede ihm noch mal gut zu und quetsche mich anschließend zwischen unzählige andere Passagiere hinter die Eingangstür. Ein Stück weit komme ich mir inzwischen vor wie Tom Hanks in Cast Away – mein Verstand braucht dringend eine Pause von all den Strapazen…

Mein Entschluss den letzten Teil der Strecke bis nach Manali aus eigener Kraft zurückzulegen war leider ohne Erfolg; das Klima und meine Kräfte haben einfach nicht mehr mitgespielt. Trotzdem bin ich froh die Reise auf die andere Seite halbwegs heil überstanden zu haben. Meine Fingerkuppen sind bereits seit Tagen offene Wunden, mal blutig, mal vertrocknet. Das raue Klima hier oben ist definitiv nichts für verweichlichte Stadtmenschen – aber es ist auf jeden Fall eine unvergessliche Erfahrung…!!

Srinagar, Kashmir 

Wegen des anhaltenden Monsoons im Tiefland sowie am Fuße des Himalaya, gleichen Straßen vielerorts Sturzbächen, so beschließe ich diese Etappe per Flugzeug zurück zu legen. Von Delhi aus sind es etwa 600 km, oder mit Air India etwas über eine Stunde. Das Rad habe ich bei einem Fahrradhändler (incl. Gepäckträger Taschen) professionell verpacken lassen und checke es ohne Aufschlag als reguläres Gepäck ein. Ich selbst nehme in einem Rucksack nur das allernötigste mit, alles andere vertraue ich bis zu meiner Rückkehr dem Hostel an – ebenso meinen Geldbeutel, welchen ich vor Müdigkeit früh morgens vergessen habe eunzustecken… das Taxi bestelle ich per Uber, so fällt mir mein Missgeschick erst beim Check-in am Flughafen auf. Wenigstens habe ich meinen Reisepass als auch meine aktuell nicht funktionsfähigen Bankkarten stecken, so komme ich meinen Ziel zwar näher, sitze anschließend aber immer noch auf dem Trockenen. In meinem Hemd finde ich 250 Rupien, die bringen mich nicht mehr weit. Ich bitte den Sicherheitsdienst mich aus dem Flughafen raus zu lassen um mir ein Taxi zurück zum hostel zu bestellen, es sind ja noch zwei Stunden bis zum boarding und nur ganze 20 Minuten über den Highway zur ehem. Herberge. Vergebens. Ein mal eingecheckt führt kein Weg mehr aus Delhis Indra Gandhi Flughafen raus. Die Sicherheitsvorkehrungen werden hier tatsächlich ernst genommen, ich bin erstaunt. Wenigstens funktioniert mein Handy noch, also rufe ich im bereits reservieren Gästehaus in Srinagar an und bitte mir eine post-paid Taxi zwecks Flughafen Transfer zu organisieren. Glück gehabt, Abholung als auch Frühstück uns Abendessen sind im Preis inbegriffen, fürs Mittagessen lasse ich mir was einfallen. Nach meiner Ankunft baue ich etst mal mein Steppi zusammen und fahre zum Markt, auf der Suche nach etwas günstigem zu Essen. Ein Einheimischer quatscht mich an und löchert mich mit Fragen, ich bin misstrauisch, bis er mich zum Tee einlädt (bei Naturalien werde ich noch immer schwach…). Dann erzählt er mir von seinem Hausboot und der miserablen Lage in Kashmir. Wegen der negativen Berichterstattung in den Medien lässt sich kaum mehr jemand auswärtiges blicken. Die Realität sieht anders aus, das war bereits vor Jahren bei meinen ersten Besuch hier so und hat sich scheinbar nicht geändert. Die einzigen zwielichtigen Personen befinden sich nach wie vor am Hauptboulevard und versuchen einen zu überteuerten Preisen auf eine Bootstour zu locken, „Shikara, Shikara Shikaraaa“ rufen sie einem unermüdlich hinterher. Es ist Hochsaison und rund um den Dal Lake, der Hauptattraktion Srinagars, warten Straßenhändler auf Kundschaft. Ich begleite meine neue Bekanntschaft auf sein Hausboot und lerne seine Familie kennen. Man lebt hier in ärmlichen Verhältnisen, ist aber trotzdem sehr gastfreundlich und spricht viel von Allah. Aus den Lautsprechern der naheliegenden Moschee tönt es zum Gebet, man hört es im ganzen Taal, sogar in stereo von mehreren Seiten gleichzeitig. Fünf Mal am Tag. Gulzar, mein Gastgeber, bietet mir vom Tee abgesehen diverse Ausflüge an, versteht aber auch dass ich aktuell selbst keine Mittel habe und in der Klemme stecke. Er ist bereit  mich so lange wie nötig mit Mittagessen zu versorgen, dafür ziehe ich so bald wieder flüssig auf sein Hausboot um und bezahle für Kost und Logie. Deal. Es ist endlich wieder Monatsanfang und ich schaffe es mein Konto aufzuladen, ich bin erleichtert. EC-Karten werden in Kashmirs Bankomaten nicht akzeptiert und übers Wochenende eine Überweisung zu starten dauert seine Zeit – falls das Netz nicht mal wieder offline ist (als Vergeltung von der Zentralregierung in Delhi, wie ich später erfahre) oder es einen der üblichen Stromausfälle gibt…

man hat sich beim Verpacken tatsächlich Mühe gegeben, es kam alles heil an. Vielen Dank an Giant Starkenn New Delhi

Josh, mein Neuseeländischer Zimmergenosse findet meinen Geldbeutel und gibt ihn an der Rezeption ab 

mit Gulzar in einem Sumo (Sammektaxi) auf den Weg zu seiner Familie in Srinagars Vorort Shalimar

In einem typischen Kashmiri Haus sitzt man auf dem Boden, wo man auch speist und raucht. Die schwarze Flagge sowie das Sturmgewehr hab ich fürs Foto mal bei Seite geräumt, nicht das es noch zu Verwechslungen kommt… 

Der Sommer in Kashmir ist heiß, Esinheimische suchen Erfrischung im Gletscherfluss. 

Jaipur „die pinke Stadt“

Wie ihr schon seht dreht sich in Rajasthan vieles um Farben, ob das die bunten Saris der Frauen sind, die unzähligen Gewürze, oder die Bemalung der Innenstadt-Häuser, die Farbenpracht ist überall präsent. Ich könnte inzwischen sogar Ziegen- von Kuhdung an Hand der braun-schwarz-Nuancen unterscheiden glaube ich, so viel von dem Zeug ist mir schon untergekommen. Davon abgesehen ist es in der Hauptstadt Rajasthans ebenso kuschlig warm wie schon in Jodhpur, daran haben auch die 6 Std Zugfahrt gen Norden nicht viel Geändert, noch immer macht sich das Klima der Thar-Wüste bemerkbar.  Obwohl es in Jaipur Pferde gibt, welche zum Transport von Waren vor den Karren gespannt werden, sind Kamele noch immer sehr verbreitet. Ebenso sieht man hier und da Elefanten, vor allem werden sie aber gehalten um damit Touristen zur ca 15 km vor der Stad gelegenen Festung zu karren. Dem Anblick nach haben weder Mensch noch Tier Gefallen an dem holprigen Ritt, aber wenigstens hat man ein Fotomotiv mehr und daheim was zu präsentieren. Ich ziehe es vor mich aus eigener Kraft zum Fort zu bewegen, durch das Gewusel am Basar vorbei am

wp-image--2107460836Wahrzeichen Jaipurs, dem Hawa Mahal (Palast der Winde), welchen Maharaja Sawaj Pratap Sigh 1799 für seine Hofdamen erbauen ließ. Es war ihnen nicht erlaubt sich unter den Pöbel zu mischen, dank der raffinierten Architektur konnten sie aber das Geschehen auf der Straße beobachten ohne gesehen zu werden. Ebenso ermöglicht die luftige Konstruktion ausreichend Kühlung hinter der Fassade, damit die Zofen keine Hitze leiden müssen. Die obligatorische Kuh, welche sich mittags zur Kühlung auf der Straße in den Schatten legt, darf auf so einem Foto natürlich nicht fehlen. Weiter führt mich der Ausflug vorbei am

wp-image--1491813521Jai Mahal Palast, welcher vor gut 250 Jahren in Mitten des Man Sagar Sees errichtet wurde. Sichtbar ist allerdings nur das oberste Stockwerk, die 4 (!) darunter befindlichen (Verließe?) werden wohl nur Gästen des heute zum Luxushotel umfunktionierten Gebäudes offenbart. Falls es euch bei dem Anblick des Sees ebenso geht wie mir und ihr euch fragt wo denn all der Müll ist, tja, der See ist tatsächlich (relativ) sauber! Er wurde nämlich um 2000 während eines der teuersten Projekte Indiens komplett entseucht und gehört heute zur Taj-Gruppe. Man kann also doch, wenn man nur will… Weiter gehts zur

wp-image--633687138Village Textile Corporation, wo ich 2011 zum erstem mal von einem Auto-Riksha zum „sightseeing“ hin verschleppt wurde. Zum meinem eigenen Erstaunen war ich in der Lage den Ort wieder zu finden, wo ich nach harter Feilscherei für maßgeschneiderte Textilien von versammelter Verkaufsmannschaft zum selbst zubereitetem Mittagessen eingeladen wurde 😉 Nach einem kurzen Chai-Tee und einer nicht ganz so kurzen Verabschiedung geht die Reise weiter zum eigentlichen Tagesziel, dem

wp-image--2500174541592 erbautem Amber Fort, welches wie es Forts üblicherweise tun, imposant auf einem hohen Berghügel liegen. Dank meiner vormittäglichen Trödelei erreiche ich es erst gegen 13 Uhr und bin von der Menge an lokalen, als auch internationalen Touristen erst mal verschreckt . Von innen kenne ich es ja bereits, also beschließe ich gegenüber die Burgmauer auf auf den Hügel zu klettern und erreiche zur heißesten Tageszeit einen Wahnsinns Aussichtspunkt.

wp-image-1988344435Hier oben scheint die Zeit still zu stehen. Ich setze ich mich an einen Schatten spendenden Aussichtspunkt und genieße sprachlos die Aussicht und die frische Briese.

Am nächsten Tag fahre ich ans andere Ende der Stadt zum

wp-image-1711009138 „Galtaji“, dem Affentempel, wo mir 50 Rupien Eintritt als sog. Spende für den Erhalt der Anlage abgeknöpft werden. Weitere 50 wären für die Kamera bezahlen. Ich weigere mich und verweise den Templer darauf dass ich keine Fotos schießen werde. Die Spende, unterstelle ich mal, wandert eh nicht dort hin wo sie eigentlich sollte, denn für den Erhalt der Anlage wird hier offensichtlich nicht viel getan, das ist schon aus der Ferne zu sehen. Inzwischen weiß ich außerdem wie die Leute in diesem Land ticken und so wundert es mich auch nicht weiter dass der Tempelmann einen streunenden Hund tritt, während er mir im selben Atemzug von diesem heiligen Ort erzählt. Das Kali Yuga tobt in vollen Zügen und in Indien ganz besonders… Immer wieder staune ich über die Schlitzohrigkeit der Einheimischen, als auch den Mangel an Mitgefühl für Mitmenschen als auch Tiere (sofern es kein Kühe sind).

wp-image--467957331 Nach einem kurzen Spießrutenlauf durch verrottete Bananenschalen, Kuh- und Affenkot, als auch vorbei an einem vollgemülltem Brunnen und einem Seitentempel an dem mir versucht wird für ein Armbändchen eine weitere „Spende“ abzuköpfen, verlasse ich die Anlage auf der gegenüberliegenden Seite. Dort begegnet mir ein „heiliger Mann“, wie er von sich selbst behauptet. Ich frage ihn ob ich ein Foto von seiner Heiligkeit schießen dürfte, er willigt ein. Anschließend fordert er Geld von mir, denn auch ein heiliger müsse ja essen. Ich sattle auf und mache mich vom Dung…

wp-image--149848960Am nächsten Aussichtspunkt sehe ich einen Inder (fast hätte ich schon Menschen gesagt…) 😉 auf einer Mauer sitzend. Er spricht mich auf höchstwahrscheinlich Hindi an, ich habe keine Ahnung was er will und antworte“english only“. Dann sehe ich zu dem Affen rüber, sehe zu ihm zurück und fahre nach kurzem Grübeln weiter…

wp-image--115790891noch mal ein letzter Ausblick auf die Stadt und zurück geht’s ins Getümmel…

wp-image-1412829127Eine weiter Tag, ein weiterer Palast – diesmal allerdings nur vermeintlich. Es ist das Albert Hall Museum, das wie es heißt von außen mehr hergibt als von innen. Auf einen Beweis kann ich verzichten ziehe weiter zum

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„Birla Mandir Temple“, welcher Gott Vishnu und seiner Gemahlin geweiht ist. Die Innenverzierungen sind beeindruckend, kein Wunder das der Bau 8 Jahre gedauert hat. Ich setze mich ein Weilchen hinein und genieße die nur von Ventilatoren unterbrochene Stille. Insgesamt bleibe ich eine Woche in Jaipur und beschließe nach jeder Menge Besichtigungen weiter zu reisen, nach Delhi.

Jodhpur, die „blaue Stadt“

Jodhpur, Rajasthan. Das Klima hier ist dank der angrenzenden Thar-Wüste extrem trocken und heiss, weswegen der Ort auch den Spitznamen „Sonnen-Stadt“ trägt. DIe Bevölkerung ist bitter arm und lebt hauptsächlich vom Tourismus. Ackerbau und Viehzucht ist wegen des Wassermangels kaum möglich und die Bildung hier ist katastrophal. Wer etwas aus seinem Leben machen möchte muss weit fahren, bzw. überhaupt das Glück haben nicht als Kind bereits arbeiten zu müssen. So viele Bettler und arme Menschen sind mir bisher noch nirgends begegnet. Die Kinder sind freundlich und bitten einen wie üblich um Mitbringsel (Geld im Speziellen…), alle sehen mich auf meinem Rad an wie Mork vom Ork. Ständig werde ich angeschnorrt, teilweise auf übelst penetrante Art. „Money-money-money!“ Oft lasse ich das Rad angekettet neben meiner Herberge stehen, zu Fuß falle ich zwar ebenso auf, aber durch meine inzwischen etwas verwilderte Optik werde ich nicht ganz so oft belästigt. Jaipur besteht aus unzähligen unüberschaubaren miteinander verflochtenen Gassen die wie einem wie ein Labyrinth vorkommen. In dieser Stadt ist man selbst mit online maps verloren, denn bis auf die großen Straßen ist hier nichts verzeichnet. Nicht selten stromere ich Stunden durch die Gassen, als einzigen Orientierungspunkt das Fort an meiner Seite. Kaum jemand spricht englisch und wenn ich durch Zufall auf ein Gästehaus stoße, frage ich gleich nach der hier üblichen Dachterasse um mich zu erfrischen und neu zu lokalisieren. Es ist unglaublich in welchem Dreck die Menschen hier leben. In den Gassen läuft das Abwasser rechts und links in kleinen Rinnen ab, dazwischen immer wieder Plastik fressende Kühe, jede Menge Fliegen, Kot und Hausmüll. Das ständige gehupe der Motorradfahrer sowie die vielen beinahe-Kollisionen mit rücksichtslosen TukTuks und scheinbar gleichgültigen Fußgängern machen mich langsam aber sicher mürbe. Indem ich immer wieder auf Aussichtspunkte flüchte und mir das Chaos von Oben ansehe halte ich drei ganze Tage durch, dann beschließe ich weiter zu ziehen…

Aussicht von der Dachterrasse meiner Herberge, Nachbarskinder lassen über den Dächern Drachen steigen

Nachbarskinder bitten mich um ein gemeinsames Selfie. Wird mal wieder Zeit für ne Rasur…

Mensch und Tier leben in Jodhpur eng bei einander…
Eines der Tore zur Innenstadt sowie zum Marktplatz
Der sog. „clock tower“, das Wahrzeichen des Stadt Zentrums

„Toorji’s Stufenbrunnen“, erbaut 1740 und ursprünglich zur Trinkwasserversorgung genutzt, ist über die Jahrhunderte mit Dreck und Abwässern voll gelaufen (Was sonst…). Erst vor wenigen Jahren wurde er im Rahmen einer Restaurierung gereinigt und in seinen ursprünglichen Zustand zurück versetzt, dabei fand man unzähliges  altertümliches Kunsthandwerk, sowie Schätze aus Sandstein und anderen Materialien. Damals wurde das Wasser mit Hilfe eines persischen Wasserrades durch Ochsen in Bewegung gesetzt und anschließend über zwei Plattformen zu Wassertanks befördert. Heute springen Kinder von den Stufen ins Wasser und lassen sich von Touristen dabei filmen. Obwohl mir bei der Hitze nach einem Bad wäre bleibe ich zur Abwechslung mal vernünftig.
Das „Mehrangarh Fort“, 1459 von Rao Jodha (dem Namensgeber der Stadt) erbaut und eine der Hauptattraktionen Jodhpurs. Dahinter die blau bemalten Häuser der Stadt.

EIne Nahaufnahme während der Besichtig

Altertümliche Schwerter – Damals gab es zwar schon Schießpulver, jedoch wurde es als unehrenhaft angesehen den Gegner aus der Ferne zu töten. Nach dem sich feindliche Truppen diese Schwäche zu Nutze machten, mussten die Krieger einsehen dass dem Feind der ehrenvolle Nahkampf wenig bedeutete und so rüstete man zwangsläufig um.
eines der prunkvollen Gemächer des Mehrangarh Forts, das Erbes des Marwar-Jodhpur Imperiums

Eine Opiumpfeife und sein Kosument, ein zentraler Bestandteil der damaligen (und auch noch heutigen) Zeit

Pune

knapp 5 Zug Stunden östlich von Mumbai, dem Slumdog Milionär Moloch, fährt man wie durch eine andere Welt mit atemberaubender Aussicht auf riesige Wasserfälle und jeder Menge Natur, weit und breit keine Nebenprodukte der Zivilisation (falls man die hiesige wirklich so nennen mag…) zu sehen. Die Umgebung rund um Pune könnte einen fast glauben lassen man befände sich in einem anderen Land, bis einen die Realität kurz vor dem Zielbahnhof wieder einholt. Dort gehts über eine Zugbrücke, unter der ein Fluss (oder ein Abwasserkanal?) mit Schaum und anderen Abfällen hindurch fließt, mitten durch die Stadt. Warum sich also Illusionen machen, es war ein angenehmes Erlebnis, ein Hauch von übrig gebliebener Umwelt, die der Mensch (noch) nicht zerstört hat. Ich versuche mir wieder einzureden das es auch anders sein könnte, wenn Korruption nicht so sehr in der Gesellschaft verwurzelt wäre. Kaum ein Inder wird das bestreiten, auch wenn es nur ein schwacher Trost ist. Beim Anblick der übrig gebliebenen Natur und dem gleichgültigen Verhalten der Mitmenschen frage ich mich oft wie viele der im Ozean schwimmenden Plastikstrudel wohl aufs Konto dieses einen Landes gehen… Ich bin hier zwar nur auf einen Zwischenstopp zur Fahrradreparatur vorbei gekommen, aber solche und ähnliche Fragen beschäftigen mich immer wieder. Es ist kaum zu fassen mit welcher Natürlichkeit hier verpestet und verschmutzt wird, aber wenn man bedenkt dass jeder 6. Mensch auf dem Planeten Inder ist, es an Infrastruktur nur so mangelt, unzählige Menschen keinen Zugang zu Bildung, sauberem Trinkwasser, geschweige denn Toiletten haben, die Geburt eines Mädchens als Enttäuschung angesehen wird, das Kastendenken immer noch weit verbreitet ist und Familien mit zig Kindern normal zu sein scheinen, dann wird einem klar, dass man hier nicht mit europäischen Maßstäben messen kann, bzw. über die hiesigen Zustände überhaupt urteilen darf…

Zurück zum Bahnhof. Der Weg ins Panda Backpacker Hostel ist in Reichweite gewählt, nur wenige km von der Station aus, trotzdem des üblichen Höllenritt durch den undurchdringlichen Verkehr. Die Luft ist, wie sollte es auch anders sein, zum Schneiden. Ich hatte wohl das Glück in die Rush-hour zu geraten. Das Hostel liegt überraschender Weise in einer sehr schönen Gegend, dem sog. Koregaon Park, in der wie ich später erfahre, auch Osho in den 80ern seinen Ashram gründete (ja, der Bahgwan-Guru mit seinen unszähligen Rolls-Royces). Wegen des damals hohen und auch heute noch andauernden Andrangs an Sannyasins (in Entsagung lebender Antimaterialisten, größtenteils westlicher Herkunft), hat sich in Pune eine Art Zweitgesellschaft gebildet und auch viele wohlhabende Inder und internationale Firmen angezogen. Der Zusammenhang leuchtet mir zwar nicht ganz ein, aber möglicher Weise haben die damaligen Immigranten den Ort entweder nicht vollkommen vermüllt, oder durch andere Qualitäten für internationalen Andrang gesorgt. Ob das wirklich so war ist natürlich nur eine Vermutung, aber wenn man sich das europäisch geprägte Goa ansieht, vielleicht gar nicht so weit her geholt. Laut den Einheimischen hat jedenfalls Osho mit seinen damals liberalen Ansichten wesentlich zur Attraktion der Stadt beigetragen. Heute stehen rund um den Koreagon Park Hütten wie man sie nicht mal am Alpenrand, oder in einer Nobelgegend vermuten würde. Auf Entdeckungstour durch die Nachbarschaft staune ich beim Anblick der Paläste und zücke meine Kamera, sofort ist Sicherheitspersonal zur Stelle um mich davon abzuhalten zu knipsen. Ein Blick auf google maps ergibt leider nur einen leeren Fleck an der genannten Stelle, da hat jemand Energie aufgewendet nicht aufzufallen. Es heißt in diesem Bezirk würden die reichsten Menschen des Landes wohnen und selbst The Donald hätte hier schon mehrmals aus Investitionsgründen vorbei geschaut…

Nach mehrtägiger Reparatur ist nun jedenfalls auch mein Rad wieder startklar, die Reisekasse um ein weiteres Loch gewachsen und ich selbst um einige Bekanntschaften reicher. Die Gäste des Panda Backpacker Pune haben sich als interessante Mischung aus Mumbai-Wochendflüchtlingen, Tech-startups auf Präsentationsreise, Freelancern, die den internationalen Kontakt suchen und Europäern auf Geschäfts- oder Weltreise erwiesen. Der Abschied fällt schwer, denn selten habe ich in so kurzer Zeit so viele gute Bekanntschaften geschlossen wie hier, das muss wohl an den Osho-vibes zwei Straßen weiter liegen 😉

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Steppi auf Narkose, kurz vor der großen OP

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Rund um den Koregaon Park hängen Lianen artigen Äste von den Bäumen, man kommt sich buchstäblich vor wie im Großstadt-Dschungel

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so gehört sichs: make love not war!  😉

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sogar die Raben fallen hier von den Bäumen… an der Hauptstraße scheint die Luft noch schlechter zu sein als erwartet.

Mumbai

  • Für die knapp 1000 km von Kozhikode nach Mumbai hat der Zug fast 24 Stunden gebraucht, auch das ein- und auschecken mit dem Rad im Gepäckwagon hat erstaunlich gut geklappt (von der üblichen Bürokratie mal abgesehen). Um mein Gepäck am Ziel Bahnhof zwischenlagern zu dürfen (mach ich immer an großen Bahnhöfen) bin ich an die Polizei im Eingangsbereich verwiesen worden, welche die Taschen durchleuchten und anschließend mit einem Siegel bestätigen sollte. In der Bahnhofshalle saß ein gelangweilter Beamter neben einer eingestaubten Gepäck-Scan Maschine. Ohne mit der Wimper zu zucken hat er mir je einen Aufkleber („Siegel“) auf meine Gepäckträgertaschen geklebt und mir anschließend mit einer Handbewegung zu verstehen gegeben ich solle verschwinden. Auf meine Frage hin ob er die Taschen denn nicht vielleicht doch scannen möchte kam er keine Reaktion. Auch die vertrockneten Aufkleber begannen sich bereits Sekunden später zu lösen. Na gut, also auf die indische Art, Hauptsache wieder ein paar Papiere zwecks Dokumentation ausgefüllt, bravo! Zurück zur Gepäckaufbewahrung, mich zwecks möglicher Nahrungsmittel in dem Taschen belehren lassen, „es gäbe hier überall Ratten und wenn die was essbares in den Taschen riechen würden die alles zerfetzen“. Ok, Trockenfrüchte also entfernt und endlich aufgesattelt. Es war zum Glück nur ein Katzensprung über den Highway ins Bombay Backpackers. Der Verkehr war wie nicht anders zu erwarten, verrückt. Dank blinkendem front-LED im Paranoia Modus konnte ich mir auch in der Dunkelheit unversehrt den Weg zum Gästehaus bahnen. Um das Schicksal nicht all zu sehr auf die Probe zu stellen bin ich die beiden anderen Tage auf sightseeing und Brillen Shopping dann aber doch per Uber-Taxi unterwegs gewesen, was mich auch vor den üblichen Randerscheinungen wie Regen, Smog, Lärm und Kadavern verschont hat. In Mumbai sieht der Himmel übrigens durchwegs grau aus, von daher hat sich ist auch ein frühes Aufstehen zwecks gutem Licht für ordentliche ein paar schöne Fotos nicht wirklich gelohnt. Bei jedem Spaziergang über die Halbinsel begegne ich Ratten, Schaben und in ganz besonderem Ausmaß, menschlichem Elend. Auch der Unterschied zwischen Arm und Reich war mir bisher nie heftiger aufgefallen als in dieser Stadt. Es ist mir ein Rätsel wie man sich freiwillig einen solchen Ort zum Leben aussuchen kann, bzw. nicht schleunigst die Beine in die Hand nimmt (sofern man noch welche hat) und sich vom Acker macht. Ist es der grundsätzliche Mangel an Bewusstsein für Hygiene, guter (bzw. überhaupt) Luft und respektvollem Umgang mit der Umwelt? Perspektivlosigkeit vielleicht? Kastenwesen? Es ist mir unerklärlich. Man könnte meinen die Mehrheit der Inder befindet sich auf einem Egotrip, egal ob im Verkehr, oder im persönlichen Umgang miteinander. Jeder scheint sich hier selbst der Nächste zu sein und mittlerweile ist auch mein Mitgefühl für dieses einst sicher weise, von kulturell reiche Volk (wenn man sich erst mal durch eine Schicht aus Dreck gewühlt hat) auf ein Minimum gesunken. Ich bin über mich selbst erstaunt und merke dass mir nicht nur Orte wie dieser, sondern dieses Land im allgemeinen ganz schön zusetzt. Zum Glück hab ich bereits bei Ankunft mein nächstes Ticket nach Pune organisiert, dort solls angeblich angenehmer sein und auch die meisten Fahrrad Läden mit guter Auswahl an Ersatzteilen geben. Ich bin mal gespannt…

Behandlungsverlauf /-Abschluss

wie beim klassischen Ayurveda bekommt man auch hier täglich Massagen  mit erwärmten Kräuter-Ölen, jedoch statt der üblichen Abhyanga-Massage, bei der zwei Personen synchron je eine Körperhälfte bearbeiten, ist hier ein Kalari-Masseur am Werk, der überwiegend mit seinen Fußflächen arbeitet. Er hält sich dabei an einer Schnur, welche an der Decke herab hängt fest um sein Gewicht mal mehr, mal weniger auf die entsprechenden Stellen zu verteilen. Es wird vom Oberkörper herab massiert, wobei das erwärmte Öl dazu dient das Luft Element im Körper (Vata) über die Haut in Schwung zu bringen und somit die anderen beiden „Körpersubstanzen“ (Doshas) zu beeinflussen: Pitta (Feuer) und Kapha (Erde). Konkret: wenn z.B. Pitta und Vata dominiert, wird darauf abgezielt mit bestimmten Kräutern und Nahrung, bzw. deren vorherrschende Geschmacksrichtung die anderen Elemente zu reizen, oder eben zu besänftigen. Der hohe Pitta Anteil lässt z.B. auf Rastlosigkeit, Verausgabung und einen schnellen Stoffwechsel schließen, ein erfahrener Ayurveda Dr sieht das bereits an der körperlichen Konstitution. So weit meine laienhafte Erklärung. Ursprung dieser Art Massage geht interessanter weise auf den Kampfsport „Kalaripayattu“ zurück, welcher angeblich die Mutter aller Kampfsportarten ist.  Nach einer Woche Behandlung und drei Tagen Ruhezeit fühle ich mich jedenfalls sehr erholt und bin bereit Richtung Himalaja durchzustarten. Vorher ist allerdings noch etwas Gepäck-Entschlackung angesagt…

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Ankunft in der Ayurveda Klinik

Nur ca. 10 Rad Minuten vom Bahnhof entfernt befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße die traditionsreiche Ayurveda Klinik und Kampfsportschule „Hindustan Kalari Sangam„. Die Einrichtung ist auf Sportunfälle und post- operative Reha. spezialisiert. Nach einem ausgiebigen Gespräch mit dem zuständigen Arzt werde ich gleich über des Prozedere der nächsten Tage informiert, nebenbei sehe ich mir die Behandlungsfotos an den Wänden an. Hier verfolgt man einen etwas anderen Ansatz der Ayurveda Behandlung, in der sich üblicher Weise alles um Entgiftung dreht. Auf den ersten Blick könnte man fast meinen, es würde nach nordamerikanischem Modell „therapiert“. Ich lass mich mal überraschen… 😉

Aufbruch nach Kozhikode, Nord Kerala 

nach einer entspannten, aber unterkühlten Nacht im klimatisierten Schlafsaal am nächsten Morgen meine sieben Sachen gepackt und zur Fähre um die Ecke gedüst. Es wird mal wieder gestreikt, so eine Überraschung… Zum Glück ist Fort Kochi mit diversen Fähren angebunden und nur wenige km weiter ist bereits die nächste Anlegestelle. Na also, keine halbe Stunde später bin ich bereits auf dem Festland und kurz darauf auch schon am Bahnhof. Die nächste Überraschung lässt nicht lange auf sich warten, der geplante 12:50 Uhr Zug fällt heute aus heißt es, alternativ soll ich doch den vorherigen nehmen, denn der ist noch gar nicht da. Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, die Zeit reicht sogar noch für einen kleinen Brunch! In diesem Land braucht man echt nichts planen, alles hängt davon ab zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein… 😀

Fort Kochi, Kerala

ehemals eine portugiesische Kolonie, wurde hier die ersten Festung des Subkontinents errichtet. Heute ist es eine Touristenhochburg, jedenfalls was die vorgelagerten Halbinseln mit dem Fischmarkt und den chinesischen Fischernetzen betrifft. Auch steht hier die älteste von Europäern erbaute Kirche. Davon abgesehen ist es in Kochi wesentlich angenehmer als auf dem Festland, wo die üblichen „Randerscheinungen“ herrschen. Auch der Müll hällt sich hier in Grenzen. Anscheinend hat man begriffen dass Tourismus (selbst wenn es einheimischer ist) besser funktionert wenns vor Ort einiger Maßen sauber ist (von Varanasi mal abgesehen…). An den klugen sprüchen auf den Mülleimern, auf denen „use me“ steht kanns jedenfalls nicht liegen. Hier gibt man sich wirklich Mühe. Incredible India 😉